Andreas Prucker

Thema Mensch

Andreas Prucker

Meine gesamte künstlerische, vor allem aber meine steinbildhauerische Arbeit kreist um das „Thema“ Mensch. Das ist nicht neu – zugegeben – und hört sich möglicherweise auch etwas beliebig an, dennoch bin ich davon überzeugt, dass gerade die klassische – meinetwegen auch anachronistische – Steinbildhauerei ein geeignetes Medium ist, um sich an diesem Thema „abzuarbeiten“. Die Widrigkeiten eines Naturmaterials aber auch dessen Schönheit, die langwierige, teils sehr mechanische Arbeit, sowie die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten durch die unterschiedlichen Werkzeuge bieten ein Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten, das seinesgleichen sucht. Ich maße mir nicht an, damit weltbewegend Neues über das menschliche Dasein zu ergründen, wohl aber die eine oder andere Ecke zu erhellen oder Nuance beizusteuern.

Meine Vorgehensweise ist dabei meist dieselbe. Zur Vorbereitung einer Skulptur dienen maximal ein paar kleine Skizzen um die bildnerische Idee zu formulieren. Die eigentliche Formgebung wird direkt im Stein und somit in einem Dialog mit dem Material erarbeitet. Das von mir bevorzugte Gestein ist der Kelheimer Auerkalk. Dabei spielt durchaus auch der regionale Bezug eine Rolle, entscheidend sind aber andere Kriterien.

Der Unterschied zwischen einem eher inhomogenen Kalkstein und einem durch und durch gleichmäßigen Marmor ist augenscheinlich. Sicher hat der Marmor seine eigenen Reize (siehe Marmorreize, 2011) aber dem Bildhauer gegenüber verhält er sich bei halbwegs „artgerechter“ Behandlung relativ gleichgültig. Anders bei einem Material wie dem Auerkalk. Er ist aus einem zusammengebrochenen Korallenriff entstanden und viele seiner Eigenschaften erinnern noch an seine Herkunft. Man hat tatsächlich den Eindruck es mit einem lebendigen Material zu tun zu haben. Dichte, kompakte Bereiche im Gefüge wechseln sich ab mit teils grobporigen Stellen, Adern und Stiche durchziehen das Gestein kreuz und quer. Neben den üblichen formalen Fragen die im Arbeitsprozess zu klären sind tauchen zwangsläufig noch ganz andere Probleme auf. Dies hat zur Folge, dass man sein Konzept ständig überdenken und dem gegebenen Block anpassen muss. Tragfähige Kompromisse wollen gefunden werden, Stärken sind herauszuarbeiten, Schwächen zu kompensieren. Auf diese Weise entsteht aber ein sehr spannender Dialog mit dem Material, ein kreativer und vor Allem ergebnisoffener Prozess.

Dabei lege ich sehr großen Wert auf die Oberflächenbearbeitung meiner Skulpturen. Welche Bereiche der Figur werden wie fein herausgearbeitet, was verbleibt im Ungefähr einer gespitzten oder gezahnten Oberfläche, wo kann durch Feinschliff oder Politur ein sinnvolles Glanzlicht gesetzt werden (Konzentration, 2008)? Welche Effekte entstehen durch die Kombination verschiedener Bearbeitungsmöglichkeiten wie etwa das Überschleifen einer rauen Oberfläche (Auftauchen, 2008)?

Grundsätzlich versuche ich den Torso zu vermeiden. Ohne Zweifel ist ein Torso keine schlechte Idee, wenn man rein mit Körpersprache und ohne Gestik und Mimik arbeiten will. Einen Torso vorsätzlich herzustellen erscheint mir dazu aber weder nötig noch angezeigt. Meine Methode besteht vielmehr darin, Teile der Skulptur wie z.B. den Kopf oder die Arme nur grob anzudeuten oder zu verstecken (Ins Ungewisse). Wie dem auch sei, es liegt in der Natur der Steinbildhauerei, dass Torsi „passieren“. Aber warum soll damit alles vorbei sein? Es ist ja nicht so, dass sich mit einem „finalen“ Schlag das ganze Werk in einer Staubwolke auflöst. Zu Bruch geht so manches – im Leben, bei der Arbeit, im Geschirrspüler. Reparaturen sind natürlicher Bestandteil unserer Welt, in vielerlei Hinsicht. Brüche und Verwerfungen haben in so mancher Biografie zu durchaus erstaunlichen Neuanfängen geführt.

In meiner langjährigen Praxis als Steinmetzgeselle hatte und habe ich es permanent mit Reparaturen zu tun – von der gebrochenen Fensterbank bis zur Restauration überlebensgroßer Skulpturen. Warum nicht diese Erfahrung und dieses Wissen in die eigene Bildhauerei übertragen? Während ich jedoch als Restaurator bemüht bin meine Arbeit zu verstecken, mache ich sie als Künstler deutlich sichtbar indem ich beispielsweise den Kleber einfärbe (Göttin, restauriert, 2009) oder die Bruchstücke versetzt zusammenfüge (Der Tod des Philosophen, 2010). Die weitere Bearbeitung des Steines muss sich nun diesen neuen Bedingungen vor Allem inhaltlich anpassen.

Inhaltliche und formale Fragen sollten ja sowieso immer ineinander fliesen. Viele meiner Bildideen entstehen aus der Beobachtung dessen, was wir gemeinhin Leben nennen. Bekannterweise ist unser Leben ja auch ein Prozess, ein Dialog mit unserer Umwelt, ein Kompromiss mit unseren natürlichen Eigenschaften – um nur einige der Formulierungen aufzugreifen, die ich in der Beschreibung meiner Arbeitsweise verwendet habe. Wir kämpfen mit unseren Unzulänglichkeiten (Respekt, Madame, 2004), setzen uns in Pose (Poser, 2004), versuchen unseren Weg zu finden (Ins Ungewisse), wir lieben (Liebeslied, 2009), sind fassungslos (Kopfstudie I & Kopfstudie II, beide 2007), staunen (Auftauchen, 2008) – was auch immer. Manches geht zu Bruch, Reparatur gelingt manchmal, aber nicht immer überzeugend und am Ende wird es unausweichlich (Der Tod des Philosophen, 2010). Meine Skulpturen empfinde ich wie Standbilder aus diesem „Film“, wie Momentaufnahmen – nicht mal besonders deutlich, wie Schlaglichter, die den einen oder anderen Aspekt beleuchten, der Rest bleibt vorerst im Ungefähr. Wichtig ist es mir dabei, einen liebevollen Blick zu bewahren, meinen Humor nicht zu verlieren und den nötigen Ernst aufzubringen.

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Andreas Prucker
März 2012

 

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